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Workshop

Im Vorraum der Zukunft - Siegfried Kracauers Realismus der unfertigen Wirklichkeit | 11.01.2022

Der Workshop widmet sich ausgehend von Siegfried Kracauers Verständnis des Realismus der politischen Frage nach der Offenheit der Zukunft. Hierfür relevant ist Kracauers Perspektive auf die Wirklichkeit als einer unfertigen und unabgeschlossenen, gleichwohl aber zu errettenden. Unter dem Eindruck der geistesgeschichtlichen Lage der 1920er Jahre sowie durch die katastrophische Erfahrung des Faschismus entwickelt Kracauer eine kritische Theorie der Massenkultur. Er begibt sich auf die Suche nach einer Perspektive, die weder der Fortschritts- und Zukunftsgläubigkeit des Liberalismus noch dem konservativ bis reaktionären Festhalten an vergangenen Sinnzusammenhängen folgt.

Vor diesem Hintergrund lassen sich eine Reihe von Motiven und Wirklichkeitszugängen bei Kracauer deuten. In den Essays der 1920er ist es das messianische Motiv des Wartens, von dem her die Frage der zukünftigen gesellschaftlichen Transformation eröffnet wird. In der späteren Filmtheorie und im posthum erschienenen Geschichtsbuch wird diese noch teilweise kulturkritisch-pessimistische Haltung jedoch durch einen Realismus abgelöst, der diesen radikalen Negativismus neu ausrichtet. Wie schon in manchen frühen Texten zur Massenkultur sucht Kracauer in den Zwischen- und Hohlräumen der Wirklichkeit nach emanzipatorischen Perspektiven. Der Film, und auf ähnliche Weise die Historiographie, machen die Offenheit und Fragmentarität der Wirklichkeit erfahrbar. In Kracauers Realismus verbindet sich die Frage der unendlichen und unabschließbaren Wirklichkeit so mit der Anamnese dessen, was in der Vergangenheit und Gegenwart vergessen und achtlos als Abfall liegengelassen wurde. Dieser Gedanke realisiert sich insbesondere im dokumentarischen Moment des Films, dem Kracauer ebenso viel Wert beimisst wie der formgebenden Tendenz und narrativen Form von Filmen. Mit Blick auf das Beispiel des Films Leviathan (2012) soll dieser Gedanke im Anschluss an Kracauer weiter entwickelt werden.

Literatur

Siegfried Kracauer: »Die Wartenden« (1922)

Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit (2005 [1960]) (Auszug aus »Epilog«, v.a. S. 444-455 und 457-467)

Geschichte – Vor den letzten Dingen (2009 [1969]) (Auszug aus »Der Vorraum«, v.a. S. 209-213 und 232-238) Felix Trautmann: Taxidermie der Zerstreuung (Aufsatzmanuskript zu Kracauer und Leviathan)

Als Zusatz

Friedrich Balke: »›Rohmaterial‹. Kracauers Wirklichkeitsbegriff zwischen fotografischem Effekt und Arbeit am Mythos«, in: Albrecht Koschorke (Hg.): Komplexität und Einfachheit, Berlin 2017, 482-506.

Stephanie Baumann: »Siegfried Kracauers Historiker an einem ›Ort, der keine Stätte ist‹«, in: Sabine Biebl et al. (Hg.): Siegfried Kracauers Grenzgänge. Zur Rettung des Realen, Frankfurt/M. 2019, 177-188.

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