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Workshop

Das Ornamentale um 1800. Formationen zwischen Mangel und Überschuss | 17.–19.05.2021

Ornamente, so bestimmt es Sulzers repräsentatives Nachschlagewerk Allgemeine Theorie der schönen Künste 1774 unter dem Lemma „Zierrathen“, sind „kleinere, mit dem Wesentlichen eines Gegenstandes verbundene Theile, die blos zu Vermehrung des Reichthums und der äußerlichen Schönheit dienen“ und sind also „einigermaaßen Anhängsel, die man wegnehmen könnte, ohne das Werk fehlerhaft zu machen.“ Dass die gängige Bestimmung des Ornaments als bescheidenes Anhängsel oder als dem Gegenstand nicht notwendig anhaftender Schmuck die Situation um 1800 kaum trifft, legt das auffällige Interesse in diversen Disziplinen wie Kunst, Archäologie, Musik, Literatur und Philosophie nahe. Im ausgehenden 18. Jahrhundert avanciert das Ornamen zum zentralen Gegenstand einer kontrovers geführten Debatte, mithin zur Reflexionsfigur, an der sich ästhetische Grundsatzfragen, wie der nach dem Verhältnis von Form und Inhalt oder Form und Funktion, entzünden. Entweder als Mangel an fehlender Ordnung gescholten oder als ästhetischer, die Realität transzendierender Überschuss gerühmt, scheiden sich am Ornament die Geister. So bewegt sich die Debatte zwischen den Polen der klassizistischen Ornamentkritik einerseits, die Ornamente als überflüssigen, das Ideal der Klarheit unterminierenden Schmuck verdammen, und der frühromantischen Ornamentemphase andererseits, die das Ornamentale als asemantischen Selbstzweck zelebrieren. Die befürwortenden und ablehnenden Haltungen speisen sich aus der Akzentuierung bestimmter Eigenschaften des Ornaments, die neben der Dichotomie von Mangel und Überschuss um die von Tiefe und Fläche, Substanziellem und Akzidentiellem sowie Bedeutung und Bedeutungslosigkeit kreisen. Auf der einen Seite manifestieren sich am Ornamentalen zentrale Elemente der Moderne: Selbstreferentialität, das freie Spiel der Einbildungskraft und die Verschiebung von Inhalts- auf Formfragen, auf der anderen Seite haftet ihm der Verdacht der Sinnlosigkeit, der Üppigkeit, der Dekadenz und des Uneindeutigen an.
Diese konstitutive Ambivalenz macht das Ornament zu einem wichtigen Bezugspunkt für Selbstverständnisdiskurse über die Ästhetik der Moderne. Lehnt der Frühklassizismus um 1750 im Namen der Formstrenge das Ornament zunächst strikt ab, wird er mit den Ausgrabungen in Herculaneum und Pompeji mit einer antiken Ornamentik konfrontiert, die zu einer Neubewertung zwingt und zu einer höchst ambivalenten Stellung des Ornaments im Klassizismus führt. Für die Frühromantik wird das Ornament in Form der Arabeske zur zentralen Reflexionsfigur. Indem das Ornament den sich selbst genügenden Schmuck oder die zweckfreie Dekoration zu seinem Prinzip erhebt, also das an sich Kritisierte affirmativ aufgreift, unterminiert es die Kritik an der Schmuckfunktion: Es „schmückt nicht länger etwas, sondern ist nichts anderes als Schmuck; dadurch schlägt [es] der Kritik am Schmückenden ein Schnippchen.“ Die hier von Theodor W. Adorno in der Ästhetischen Theorie bereits für den Barock veranschlagte antirhetorische Volte des Ornaments durch seine selbstreferentielle Eigenschaft erfährt in der frühromantischen Ästhetik ihre volle Entfaltung. In Friedrich Schlegels Schriften wird die selbstreferenzielle Struktur des Ornaments zur poetischen Form schlechthin nobilitierte, zum phantasievollen, sich stetig steigernden Formenspiel. Das Ornament tritt hier zur Sprengung der Geschlossenheit, zur Emanzipation des Werks von seiner Gattung und vor allem zur Behauptung einer Eigenlogik in den Dienst.
Ziel des Workshops ist es, die vielen Facetten des Ornamentbegriffs um 1800 aus interdisziplinärer Perspektive in den Blick zu nehmen und zu zeigen wie die allzu schlichte Antithese von Ergon und Parergon, Inhalt und Form oder Tiefe und Fläche bei genauerer Analyse der ästhetischen Debatten ins Wanken gerät. Das Ornament interessiert dabei nicht nur als literarische Form, sondern auch als musikalisches und bildkünstlerisches Element sowie als Gegenstand der archäologischen und kunsttheoretischen Auseinandersetzung. Aus interdisziplinärer Perspektive soll nachgezeichnet werden, wie das Ornament im 18. Jahrhundert zunächst durch die Emanzipation der philosophischen Ästhetik von der Rhetorik an Bedeutung verloren hat, um dann gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Kontext der einsetzenden Selbstreflexion der Aufklärung verändert wieder auf den Plan zu treten.

Der Workshop findet virtuell via Zoom statt. Gäste sind herzlich willkommen. Anmeldung bei Maximilian Kloppert, m.kloppertSpamProtectionuni-koeln.de.