Kreativität 2.0
Im Sommer 2025 ist der Soziologe Andreas Reckwitz als Distinguished Fellow am Auerbach Institut zu Gast. Wir möchten dies zum Anlass nehmen, um in einem Workshop nach der Aktualität des Zusammenhangs von Praxeologie, Kunst und Arbeit zu fragen. Mit dem seit den 1970er diagnostizierten Wandel der modernen westlichen Industriegesellschaften hin zu Informations-, Wissens- und Dienstleistungsgesellschaften im Zeichen des Neoliberalismus, spätestens aber mit dem Aufstieg der New Economy und dem Finanzkapitalismus in den 2000er Jahren ist die Verbindung von künstlerischen und ästhetischen Praktiken und Diskursen auf der einen und (post-)modernen Arbeitsformen auf der anderen Seite in den Blick der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung geraten. Insbesondere dem von Reckwitz diagnostizierten „Kreativitätsdispositiv“ ist dabei verstärkte Aufmerksamkeit zuteilgeworden. Kaum umstritten ist mehr, dass wir es mit einem umfassenden gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel sowie mit der Neukonfiguration eines ganzen Diskursfeldes zu tun haben, in dem der Kreativsektor und die „creative class“ sowie die mit ihnen verbundenen Praktiken immaterieller Arbeit exemplarisch für einen umfassenden Paradigmenwechsel stehen.
Im Zuge der aktuellen Entwicklung auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz ist es nun just dieser Kreativsektor sowie die mit ihm gekoppelten unterschiedlichen Bereiche der „Geistes“-Arbeit, deren Praktiken und Arbeitsweisen elementar in Frage gestellt und mittelfristig eventuell gänzlich obsolet werden. Dies führt gegenwärtig zur Reaktivierung eines bereits seit der Industrialisierung geläufigen Topos der Substitution des Menschen durch die Maschine. „Computational Creativity“ stellt sich aus dieser Perspektive primär als eine Gefahr für eine spezifisch menschliche Fähigkeit dar. Interessant ist, dass der dabei verwendete Kreativitätsbegriff die vorangegangenen Analysen um das Konzept fast gänzlich außer Acht lässt. Statt den Umstand zu berücksichtigen, dass es sich beim Kreativitätsbegriff um ein Konzept handelt, das längst nicht mehr nur die Kunstproduktion prägt, sondern in nahezu allen ‚kapitalisierbaren‘ Arbeitsformen und Lebensbereichen zum Imperativ geworden ist, schließt die Debatte – explizit oder implizit – an Vorstellungen vom individuellen Künstlertum und die damit verbundenen Ideen von Autonomie, Selbstverwirklichung und Freiheit an.
Der Workshop möchte hier ansetzen und die praxeologischen und diskursanalytischen Befunde zur Rolle der Kreativität noch einmal auf den Prüfstand stellen, indem er fragt, was die gegenwärtige Entwicklung auf dem Gebiet der KI für das Verständnis von Kreativität als gesellschaftlichem und ökonomischem Dispositiv bedeutet, ob sich neue Subjektivierungsformen abzeichnen und welche Wege praxeologische Ansätze bieten, ihre Diagnosen zu aktualisieren, ohne die bereits erreichte Komplexität einzubüßen.
Ort & Zeit: Bibliothek Erich Auerbach Institut (3. OG), Weyertal 59 (Rückgebäude), 50937 Köln | 20. Mai 2025, 09:30-16:00.