Wünsche sind mentale Entwürfe und seelische Vorgänge, sie sind aber auch Sprechakte und Kulturtechniken und daher an Medien gebunden. Dazu gehören bestimmte Objekte, deren Hilfe für das Wünschen im Märchen unabdingbar ist; Listen oder andere Schriftträger, die Wünsche fixieren und realisierbar machen sollen; Algorithmen, die den Wünschenden ihre Wünsche vorformatieren und suggerieren können. Bei all dem ergibt sich ein enger Konnex zwischen Wünschbarkeit und Zukünftigkeit. Er liegt sowohl in der Projektion des Erwünschten auf eine zukünftige Gegenwart als auch im Prozessieren des Wünschens in Formen gegenwärtiger Zukunft. Wichtige theoretische Modelle dafür sind etwa der Traum, der nach Freud bekanntlich eine Wunscherfüllung darstellt, oder die Maschine, die bei Deleuze und Guattari für die Prozessualität und Produktivität des Wünschens steht. Das Wünschen erweist sich in diesen unterschiedlichen Zugangsweisen als eine vielfältige poetische Praxis. Im Zentrum meines Projekts steht daher die komplexe Temporalität literarischer Wunschtexte.
Stefan Willer
Vita
Stefan Willer ist Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er studierte Germanistik, Romanistik und Musikwissenschaft an den Universitäten Göttingen und Münster, wurde 2001 in Münster promoviert und habilitierte sich 2010 an der Technischen Universität Berlin. Von 2001 bis 2018 war er am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin tätig, seit 2010 als dessen stellvertretender Direktor. Von 2014 bis 2018 hatte er eine Sonderprofessur für Kulturforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin inne. Gastaufenthalte führten ihn u.a. an die Universidad Nacional Autónoma de México, die Stanford University, die École des hautes études en sciences sociales, Paris, und die University of California, Santa Barbara. Seit 2018 ist er Professor für Neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Forschungsschwerpunkt
Literaturgeschichte des 17.-21. Jahrhunderts
Literatur und Zukunftswissen
Kulturgeschichte von Genealogie, Generation und Erbe
Sprach- und Übersetzungstheorie
Literatur und Musik
Publikationen (Auswahl)
- Botho Strauß zur Einführung, Hamburg 2000
- Poetik der Etymologie. Texturen sprachlichen Wissens in der Romantik, Berlin 2003
- Das Beispiel. Epistemologie des Exemplarischen, Berlin 2007 (hg. mit Jens Ruchatz und Nicolas Pethes)
- Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte, Frankfurt a.M. 2008 (verf. mit Ohad Parnes und Ulrike Vedder)
- Prophetie und Prognostik. Verfügungen über Zukunft in Wissenschaften, Religionen und Künsten, München 2013 (hg. mit Daniel Weidner)
- Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur, Berlin 2013 (hg. mit Sigrid Weigel und Bernhard Jussen)
- Erbfälle. Theorie und Praxis kultureller Übertragung in der Moderne, Paderborn 2014
- Futurologien. Ordnungen des Zukunftswissens, Paderborn 2016 (hg. mit Benjamin Bühler)
- Zukunftssicherung. Kulturwissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2019 (hg. mit Johannes Becker, Benjamin Bühler und Sandra Pravica)
- Selbstübersetzung als Wissenstransfer, Berlin 2020 (hg. mit Andreas Keller)