zum Inhalt springen

Forschungsprojekt

Wachsames Lesen im Verlag. Mediale Praktiken der Vigilanz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Die Zeit, in der wir leben, wurde jüngst als ‚Age of Attention‘ charakterisiert. Digitale Technologien konkurrieren um unsere Aufmerksamkeit und nehmen erheblichen Einfluss darauf, wie und wofür wir uns interessieren. Eine wesentliche Herausforderung unserer Gegenwart besteht entsprechend darin, auf individueller wie kollektiver Ebene Rezeptionskulturen der Eigenverantwortlichkeit zu etablieren. 
Damit werden in den aktuellen Gegenwartsdiagnosen Rezeptionsmodelle ventiliert, die im Zuge der Demokratisierung des Lesens im 19. Jahrhundert akut wurden. Mit der Herausbildung eines modernen Druckmarktes konkurrierten literaturproduzierende und -vermittelnde Akteure wie Autoren, Verleger, Herausgeber und Redakteure in kollaborativen Formationen und in einem komplexen Zusammenspiel mit dem spätabsolutistischen Überwachungsregime verstärkt um die Aufmerksamkeit einer anonymen Leseöffentlichkeit. Durch ein vielgestaltiges und spekulativ angelegtes Medienangebot, bei dem sie zensurbedingte Sensibilitäten für Latenzen einkalkulierten, suchten sie die Vorlieben, Interessen und Bedürfnisse ihrer Leserschaften zu eruieren und beteiligten sich damit maßgeblich an der Kultivierung selbstbestimmter Rezeptionsformen.  
Hier setzt mein Forschungsprojekt an und stellt die aufmerksamkeitslenkenden Strategien ins Zentrum, die von Akteur:innen des Verlagswesens im papiernen Zeitalter der Aufmerksamkeit erprobt wurden: Wie reagierten Verleger auf das Aufmerksamkeitsverhalten einer tendenziell hermeneutisch hellhörigen Leserschaft? Was verraten redaktionelle Textumgangsformen und verlegerische Entscheidungen über das zeitgenössische Lesepublikum und seine Rezeptionsgewohnheiten? Und wie begünstigten schließlich mediale Praktiken der Vigilanz eigenverantwortliche Lektüren? Diesen Fragen möchte ich in meiner Zeit am Erich-Auerbach-Institut im interdisziplinären Austausch nachgehen. 

Kristina Mateescu