Vertrauen stellt seit jeher eine treibende Kraft für Komplexitätsreduktion (Luhmann 1973),die Sicherung sozialer Ordnung aber auch gesellschaftliche Transformationsprozesse dar. Unerlässlich ist es in die Fülle lebensweltlicher Bezüge eingelassen. Mit Blick in die Begriffsgeschichte und aktuellen Theoretisierungen dieses ephemeren Phänomens in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften wird eine besorgniserregende Tendenz augenscheinlich: Vertrauen wird vornehmlich als quantifizierbar und operationalisierbar rationalisiert und zunehmend ökonomistisch überformt und vereinnahmt, denn so heißt es in Wirtschafts- und Management-Diskursen: „No trust, no business“. Hier setzt unser geplantes Projekt mit einer queer-feministischen und neu-materialistischen Begriffsintervention an, indem auf Basis unserer breiten sozial- und geisteswissenschaftlichen Expertise im Bereich des Neuen Materialismus das Phänomen Vertrauen (kritisch) in den Blick genommen wird. Es ist Ziel des kollaborativen Projekts, Vertrauen als situierten, affektiv durchtränkten und häufig auf asymmetrischen Beziehungen beruhenden Prozess neu zu konzeptualisieren. Dabei soll ausgehend von und in Anlehnung an Husserls Lebensweltbegriff, über Vertrautheit mit der Welt und Vertrauen in andere gemeinsam über ein grundsätzliches Vertrauen in und als Welt-Werdung nachgedacht werden. Der Neue Materialismus bildet einen zentralen theoretischen Rahmen für ein solches gemeinsames Denken und Arbeiten im Kontext.
Alisa Kronberger
Vita
Alisa Kronberger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (PostDoc) am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum und assoziiertes Mitglied des SFB 1567 Virtuelle Lebenswelten. Sie promovierte an der Philipps-Universität Marburg und der Zürcher Hochschule der Künste mit einer Arbeit zu neuen Materialitätsdiskursen in der feministischen Medienkunst, wofür sie den Promotionspreis der Philipps-Universität Marburg erhielt. Sie war Lehrbeauftragte an den Universitäten in Freiburg, Marburg und Köln und Gastwissenschaftlerin am Institute for Cultural Inquiry an der Utrecht University.
Forschungsschwerpunkt
Posthumanistische Ethik, Medienökologien, Ökologien des Vertrauens, Medienphilosophie des Vertrauens
Öko-feministische und post-/dekoloniale (Medien-)Theorien des Anthropozäns in digitalen Kulturen
Environmental Humanities, New Materialism, kritischer Posthumanismus, Methodologie der Diffraktion
Queer-feministische Videokunst, New Media Art, Bioart
Publikationen (Auswahl)
Monographie:
Diffraktionsereignisse der Gegenwart. Feministische Medienkunst trifft Neuen Materialismus. Bielefeld: Transcript 2022
Herausgaben:
gem. mit Katrin Köppert, Friederike Nastold (2023) (Hg.): dis/sense in der Anthropozänkritik, INSERT. Artistic Practices as Cultural Inquiries, Nr. 4
gem. mit Patrizia Breil (2024) (Hg.): Eigensinnige Objekte. Virtuelle Möglichkeitsräume zwischen Aufforderung und Entzug. Bielefeld: Transcript (erscheint im Herbst 2024)
Aufsätze & Artikel:
„Kritisch-Posthumanistische Nachhaltigkeit. Für eine Medienökologie der Verantwortung und Sorge“. In: Claudia Paganini, Lars Rademacher, Stefan Kosak, Vanessa Kokoschka (Hg.). Nachhaltigkeit in der Medienkommunikation. Ethische Anforderungen und praktische Lösungsansätze. Baden-Baden: Nomos (erscheint im Januar 2025).
gem. mit Bettina Papenburg: „Medialität und mediation. Kritisch-posthumanistische und medienästhetische Perspektiven“. In: Carmen Birkle, Christl M. Maier, Susanne Maurer, Bettina Wuttig (Hg.). Geschlechterforschung Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden: Nomos (erscheint im Herbst 2025).
„Matters of Trust. Von der Klebrigkeit des Vertrauens“. In: Behemoth. A Journal on Civilisation (erscheint im November 2024)
„Response-Able Trees. On Permaculture Ethics of Responsibility in the Films of the Cambio Exhibition (2020)”. In: Ecozon@. Disruptive Encounters. Concepts of Care and Contamination out of Control, hg. von Solvejg Nitzke, Kirsten Juedt, Svenja Engelmann-Kewitz (erscheint im Oktober 2024).
gem. mit Jennifer Eickelmann: „Potenziale diffraktiver Denktechnologien. Eine kritische Kartierung von Interferenzen und Differenzen“. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, 03/2024.
„Reclaiming difference-within. Ecofeminism, New Materialism and the Speculative Ritual in the early Work of Ulrike Rosenbach”. In: Hendrik Folkerts (Hg.). Ulrike Rosenbach. Heute ist morgen / Witnesses. Köln: Walther König Verlag 2024, S. 107-124.
„Von einer bildlichen Erkenntnisweise – einem Dazwischen, das aufblitzt. Eine Begegnung zwischen Walter Benjamin und Karen Barad“. In: Jörg Sternagel, Eva Schürmann (Hg.). Denken des Medialen. Zur Bedeutung des »Dazwischen«. Bielefeld: Transcript 2024, S. 153–171.
gem. mit Patrizia Breil: „When I touch the person on the screen. Der digitale Körper zwischen Materialität und Virtualität“. In: Sybille Krämer, Jörg Noller (Hg.). Was ist digitale Philosophie? Phänomene, Formen und Methoden. Paderborn: Brill / Mentis Verlag 2024, S. 156–179.