Indexikalische Wirklichkeitserzeugung in populärer Literatur und Kultur
Ausgangspunkt des geplanten Projekts ist die Bedeutung der Indizienlogik in der Kriminalliteraturforschung. Zwar ist der Rekurs auf das von Ginzburg eingeführte ‚Indizienparadigma‘ in der Forschung zur Kriminalliteratur allgegenwärtig, eine differenzierte Extrapolation dieses Konzepts, das Ginzburg selbst nur grob skizziert hat, und seiner Implikationen ist aber bisher erst in Ansätzen erfolgt. Das Projekt plant, das ‚Indiz‘ nicht nur auf Formen des Kriminalgenres zu applizieren, es aber auch nicht nur als Ausprägung unsicheren Wissens auf Methoden der Humanwissenschaften zu beziehen, sondern außerdem das Indiz ganz grundsätzlich in seiner Funktion als Lektüreoperation in einem semiotischen und philologischen Kontext zu untersuchen. Abgezielt wird auf die Verknüpfung dieser drei Forschungsperspektiven (zur Kriminalliteratur, zum Lesen, zur Wissensphilologie), bei der die Affinität von Indiz und Literatur im Fokus steht. Dabei soll die systematische Bezüglichkeit zwischen konkretem Indiz (in Text oder Film) und metareflexiver Indizienlogik als genereller Lektüreoperation in den Blick genommen werden. Das Indiz und die mit ihm verbundenen Operationen des Anzeigens und Verweisens changieren grundsätzlich zwischen Möglichem und Wirklichem. Die Indizienlogik verbindet Konstruktion, Auslegung und Evidenz. Dabei ist zentral, dass durch Indizien, ihre Verweisstruktur und Verknüpfung Imaginationsräume eröffnet werden, diese können Evidenz und Wissen antizipieren, die Indizien bleiben aber selbst ambivalent und mehrdeutig. Indizien sollen somit über ihre Funktion als 'Allegorien des Verweisens' gerade auch als genuin ästhetische 'Allegorien des Lesens' fokussiert und untersucht werden.
Antonia Eder
Vita
Antonia Eder, PD Dr. phil., ist Mitarbeiterin am Institut für Germanistik, KIT. Zuvor war sie Oberassistentin am Département d'allemand der Universität Genf. 2019-2020 übernahm sie die Vertretung einer Professur für NdL und Kulturwissenschaft an der Universität Bonn sowie 2017 eine Vertretungsprofessur am KIT. Nach dem Abitur in Paris hat sie Germanistik, Politologie, Psychologie und Philosophie an der Sorbonne, Paris IV und der FU Berlin studiert; promoviert wurde sie an der Universität Tübingen zu Korrespondenzen von Ästhetik, Wissen und Geschlecht im Fin de siècle ("Der Pakt mit dem Mythos. Hofmannsthals zerstörendes Zitieren von Nietzsche, Bachofen, Freud", 2013). Sie habilitierte 2021 mit der Arbeit "Indizien. Entstehung einer Erzählordnung 1740-1820". Antonia Eder war Visiting Scholar an der University of Chicago, der Universität Konstanz sowie Fellow der Stiftung Weimarer Klassik.
Forschungsschwerpunkt
Literatur und Wissen(schaft) im 18.-20. Jahrhundert (Recht, Forensik, Psychologie, Anthropologie, Ästhetik)
Kulturen des un/nützen Wissen
Antikerezeption und Mythostheorie
Geschlechterforschung
Müdigkeit: Literatur und die Kunst des Lassens
Publikationen (Auswahl)
Monographien
Indizien. Entstehung einer Erzählordnung 1740-1820, Stuttgart/Berlin 2022.
Der Pakt mit dem Mythos. Hugo von Hofmannsthals zerstörendes Zitieren von Nietzsche, Bachofen, Freud. Rombach litterae, Freiburg 2013.
Herausgaben
Das Unnütze Wissen (in) der Literatur. Freiburg 2015 (hg. mit Jill Bühler).
Kredit und Bankrott in der deutschsprachigen Literatur. Stuttgart 2020 (hg. mit Maximilian Bergengruen und Jill Bühler).
Artikel
Katastrophische Komik und explosive Konstellationen. Zu Katastrophen der Aufklärung in Lessings "Die Juden". In: Lessing Yearbook/Jahrbuch 2021, S. 67-90.
Luxus des Lassens. Müdigkeit als Auszeit in Philosophie und Literatur: Vom französischen Materialismus über Rousseau und Musil bis zur Gegenwart. In: Christine Weder u.a. (Hg.): Auszeiten. Temporale Ökonomien des Luxus, Stuttgart 2021, S. 267-288.
Im Zeichen der Drei. Politik und Recht der Deutungshoheit in Kleists "Amphitryon". In: Kleist-Jahrbuch 2021, S. 13-47.
Warum Frauen (um)fallen und Männer (ab)gehen: Raumsemantik in Hebbels Dramen. In: Hebbel-Jahrbuch 75/2020, S. 5-33.
Forensik und Fiktion. Zur Geschichte von Indizien zwischen Wahr-Werden und Wahrscheinlich-Sein. In: Sprache und Literatur. Zeitschrift für Medien und Kultur 1/2019, S. 29-55.
Zur doppelten Unzeit. Asymptotisches Erzählen bei Schiller. In: Helmut Hühn, Dirk Oschmann, Peter Schnyder (Hg.): Schillers Zeitbegriffe, Hannover 2018, S. 229-249.