Auerbach Lecture | 30.05.2022 | 18 Uhr
Antonia Eder (Neuere deutsche Literatur und Kulturwissenschaft, Karlsruhe): Triviale Wahrheitsprozeduren? Zur Erzähllogik von Indizien zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit
Abstract
Indizien gibt es nicht – sie werden immer erst hergestellt: Indizien sind stets der Effekt von Plausibilisierungspraktiken, in alltäglichen wie wissenschaftlichen Kontexten. Über indexikalische Techniken des Schließens ist Wissen semiologisch wie hermeneutisch dynamisiert. Zentral gilt dies für Disziplinen wie Recht, Medizin, Psychologie, Archäologie, Wissens-/Geschichte, Philologie u.a.m. – sie alle folgen Indizien als ‚Allegorie des Verweisens‘. Das Indiz als der Zeichentypus, der sich selbst zeigt und zugleich etwas anderes an-zeigt (indicare), changiert zwischen Evidenz und Lektüre, wodurch Indizien sich mit Eigenschaften und der konstitutiven Möglichkeits-Form von Literatur verbinden.
Mein Vortrag will die systematische Bezüglichkeit zwischen konkretem Indiz (in Text oder Film) und metareflexiver Indizienlogik als genereller Lektüreoperation in den Blick nehmen. Das Indiz und die mit ihm verbundenen Operationen des Anzeigens und Verweisens changieren grundsätzlich zwischen Möglichem und Wirklichem. Die Indizienlogik verbindet Konstruktion, Auslegung und Evidenz. Dabei ist zentral, dass durch Indizien, ihre Verweisstruktur und Verknüpfung Imaginationsräume eröffnet werden: Diese können Evidenz und Wissen antizipieren, die Indizien selbst bleiben aber ambivalent und mehrdeutig. Indizien sollen über ihre Systematik einer 'Allegorie des Verweisens' somit auch als genuin ästhetische 'Allegorien des Lesens' thematisiert werden.